Geistphilosophisches Privatissimum
Hans Imhoff
Hans Imhoff
Asozialistik
Dissertation
Abyssos
Logik des Plans
Republik. Blüte
Poiesis
Krönung
Herabstieg
Echo
Geliebte Goethes

Blüte I
Blüte II
Blüte III
Blüte IV
Blüte V

 

 

 

Republikanische

Blüte Erstes Buch

(1979)


 

 

 

 



Gesund denken ist die größte Vollkommenheit, und die Weisheit besteht darin, die Wahrheit zu sagen und zu handeln nach der Natur, auf sie hinhörend.
Heraklit, 112

Es ist nämlich unsinnig, wenn einer meint, die politische Wissenschaft oder die Klugheit sei die beste Wissenschaft. Denn der Mensch ist nicht das Beste, was es im Kosmos gibt.
Aristoteles, Nik. Ethik

Das wahre Absolute ist der Geist, der aus Liebe zu sich selbst Natur ist.
Imhoff, Rep. Blüte

 

In dem Jahr, als in Griechenland faschistische Generäle mit amerikanischer Hilfe die Macht an sich rissen; als unter dem Namen des Prager Frühlings die Südostflanke aus dem Warschauer Pakt herausgebrochen werden sollte; als in Paris die Studenten zusammen mit der technischen Intelligenz die Arbeitermassen zur Revolution bewegen wollten; als in Mexiko-Stadt das Militär revoltierende Studenten zu Hunderten zusammenschoß; als die gewaltlose Revolution - die so gewaltlos nun such wieder nicht war, denn sie tötete nicht wenige junge Menschen in ihrem Mutterland USA, wo mancher Neger der Black Panthers und manches Mitglied der Students for a Democratic Society sein Leben in den Salven von Femegerichten und der in Bürgerkriegsstärke aufmarschierten Bundespolizei endete - den Atlantik überquert und die Köpfe der mitteleuropäischen Jugend noch mehr verwirrt hatte, während der amerikanische Präsident Johnson den Krieg in Vietnam mit immer verbrecherischeren Mitteln und deutschem Geld gewinnen wollte, in diesem Jahre 1968 ereignete sich in den Räumen eines nach der Französischen Aufklärung benannten »republikanischen« Klubs in Frankfurt am Main eine unbedeutende Szene. Die aus Amerika stammende Musik aller Art hatte damals eine solche Autorität und war selbst bei politischen Zusammenkünften der Jugend, mit geringen Ausnahmen, so das Gewöhnliche, Obligatorische, daß sie auch schon den Anspruch auf Ausschließlichkeit zu erheben begonnen hatte. Warum die Menschen auf diese Barbarei so flogen, fragt man sich vergebens. In besagtem Klub saßen vor allem Studenten der Universität, Oberschüler, die Besten der politisierten Jugend, hin und wieder ein Spitzel, und auch griechische Emigranten. Die Unterhaltung ging lebhaft, man konnte kaum sein eigenes Wort verstehen, kaum einen Schritt tun, aber Musik hörte man auf jeden Fall. Es gehörte zum Stil der Revolution durch Lust, für Lust und mit Lust, daß man das Gefühl dem Gedanken vermählen wollte; es gab Leute, die allen Ernstes glaubten, die Musik, die damals entstand, sei die Revolution. Man drückte seinen Protest gegen den Krieg, Rassendiskriminierung, Autoritarismus und solche Dinge aus; aber um darzustellen, in welchem Zusammenhang und mit welchem Ziel oder auch mit welchen Kräften das Programm des Protestes stehe und durchzuführen sei, hatte eine ganze Generation in einem Dutzend Ländern sich fünf Jahre lang vergeblich abgemüht. Die Schwierigkeit, aus der auch einige gute Köpfe nicht herausfanden und die noch nicht einmal so ohne weiteres zu beschreiben wäre, so desolat war und ist der allgemeine Zustand und insbesondere der der Jugend, kam auf das deutlichste zum Ausdruck, als einige Griechen bei dem Wechsel der Schallplatte ihre patriotische griechische Musik auflegten. Ein regelrechter Aufstand war die Folge. Diesen primitiven Singsang, Geklimpere und Gestampfe in orientalischen Klängen wollte niemand hören. Da erregten sich die Griechen sehr, bedrohten und schalten die Protestierenden Dummköpfe und erklärten: In diesen Liedern lebe das griechische Volk fort, in ihnen bewahre es seine demokratischen Traditionen auf, suche es Trost und schöpfe es Mut für den Befreiungskampf; hier hoffe es, bis es seine Identität, die ihm jetzt zu leben versagt sei, wiedererlangt habe. Einen Moment lang herrschte Stille. Ein kluger Beobachter - und die Väter dieser Generation waren solche klugen Beobachter - hätte wissen können, daß die deutsche Jugend jedenfalls keine Identität besaß, außer ausgeliehenen, vorübergehenden, und deshalb auch nur für solche kämpfen, vielmehr sich den Anschein eines Kampfes geben konnte. Ein Phänomen ist es, daß auf den vielen Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg, wo die Parole lautete: »Amis raus aus Vietnam!« und an denen sich Hunderttausende beteiligten, niemals auch nur einer auf die Idee kam, »Amis raus aus Germany!« zu skandieren, obwohl der Vater des vietnamesischen Volkes und seiner Befreiung, Ho Chi Minh, darauf aufmerksam machte, man helfe dem vietnamesischen Volk am besten, wenn man den Kampf je in seinem eigenen Lande, gegen den Imperialismus jeweils dort, wo er ist, führe. Wenn die Revoltierenden von dem reaktionären Staat jahrelang mit größter Nachsicht behandelt wurden, so liegt der Grund dafür darin, daß der törichte Ausbruchsversuch der deutschen Söhne und Töchter aus ihrem historischen Schicksal das Resultat aus dem Verrat ihrer Väter an der deutschen Identität und Integrität darstellte, dessen sich diese in ihrem Inneren schuldig bekennen mußten. In tödlicher Verkennung dessen, was ein Gesellschaftsgebilde ausmacht, hörte man von deutschen Jungen und Mädchen, Männern und Frauen Reden wie: Aus ihnen mache keiner mehr einen Nationalisten, oder: Sie wüßten nicht, worauf sie als Deutsche stolz sein sollten. Statt die sozial lebenswichtigen Leidenschaften zu kultivieren, traten sie sie aus Dummheit in den Schmutz und überließen sie der Reaktion, den Besatzungsmächten und überhaupt jedem, der damit zu seinem Vorteil Schindluder treiben konnte. Freiwillig schied diese Generation aus dem Wettstreit der Völker aus, unterschrieb ihr Todesurteil, ratlos angesichts des Bankrotts der Elterngenerationen, von den Künsten internationaler Scharlatane geblendet, stürzten sie über ihre Schwäche und Unerfahrenheit. Ein Hauptgrund für das Versagen der Studentenbewegung in Westdeutschland war ihre Unfähigkeit, zur nationalen Frage Stellung zu nehmen, geschweige daß man die vorrangige Notwendigkeit ihrer Lösung geahnt hätte. Ihre letzten Ausläufer treten gegenwärtig mit der Forderung »US-Truppen raus aus Ost-Timor!« hervor. Unter den mehreren Ursachen für die verhängnisvolle Torheit und den nutzlosen Kräfteverschleiß der oppositionellen Jugend, der die wachsende Zahl des konservativ, natokonform votierenden, tendentiell aggressiven Nachwuchses gegenübersteht, ist neben dem menschenverzehrenden Raubbau der Produktion, die in Westdeutschland wegen der panischen Wahnsinnsambitionen der ins Abseits geratenen Industriemacht besonders rücksichtslos Vernichtung in das eigene Volk trägt, vor allem die Tatsache, daß die Bundesrepublik Deutschland kein souveräner Staat ist. Im Moment weiß keiner, wie die Deutschen sich aus der Klemme befreien können; eben weil keiner mit dem Status quo zufrieden und einverstanden ist, will keiner an ihm rütteln. Ein Friedensvertrag, wenn er zum gegenwärtigen Zeitpunkt zustande käme (was in den Bereich des Irrealen gehört), würde die Anerkennung der Teilung und der Oder-Neiße-Grenze bedeuten, zweier Tatsachen, die man sich scheut als irrevokable Gegebenheiten hinzunehmen. Also muß man ein besetztes Land bleiben. Die Bürger dieses Landes versuchen sich seit nunmehr vierunddreißig Jahren damit darüber hinwegzutrösten, daß sie sagen, man habe keine andere Wahl gehabt. Das mag durchaus sein, etwas anderes aber ist, daß der damaligen deutschen Führung bis auf die heutigen ebendiese Ausweglosigkeit gerade recht war; denn die Deutschen sind politisch von einer einmaligen Erbärmlichkeit. Als die zu Verstand gekommenen Teile der deutschen Bevölkerung nach dem Krieg beginnen wollten, ihre Angelegenheiten neu zu ordnen, handelten die Besatzungen absolut im Sinne der zum großen Teil aus dem Dritten Reich überbliebenen, zum anderen Teil neuen, entsprechend beeinflußten Personen der entscheidenden deutschen Verwaltungs- und politischen Stellen, wenn die Generalität der amerikanischen Besatzungstruppen im Mai 1947 erklärte, sie werde bei Widerstand gegen ihre Politik die Bevölkerung aushungern und die politischen Führer erschießen. Damals, im Mai 1947, hat man das Selbstbewußtsein des deutschen Volkes gebrochen und ihm den Lebensnerv als Nation durchgetrennt. Einige Monate später machte der Kollaborateur Adenauer der Bevölkerung der westlichen Besatzungszonen weis, sie sei ab jetzt die Bürgerschaft eines souveränen Staates. Vor kurzem, etwa dreißig Jahre danach, wurde solche Souveränität in einem Vertrag zwischen Bundesregierung, Bundeswehr und dem amerikanischen Nato-General Haig abgerundet, in welchem dem jeweiligen Oberbefehlshaber des Nordatlantischen Bündnisses die exekutive Gewalt über das westdeutsche (nur dieses?) Gebiet und seine Bevölkerung im Falle einer politisch kritischen Lage zugesichert wurde, womit ein weiterer Schritt in Richtung Legalisierung des Besatzungsstatus anstelle auch nur der historischen Aussicht auf einen Friedensvertrag und die Autonomie des Deutschen Reiches getan ist. Je enger sich der westdeutsche Rumpf an die Amerikaner in dem Wahn anschließt, sie schützten Westdeutschland vor der sowjetischen Expansion (allerdings schützen sie ihre Provinz vor deren eigener Bevölkerung), desto tiefer die Verblendung vor der Tatsache, daß keine Macht der Erde ein geringeres Interesse an der Wiederherstellung des deutschen Volkes hat als die Vereinigten Staaten. Die westdeutsche Reaktion aber spielt unablässig mit dem Gedanken, die Errichtung eines gesamtdeutschen Staates gegen die Interessen der Amerikaner, jedoch unter deren Schutz, mit einer gegen die Sowjetunion gerichteten Großmachtpolitik bewerkstelligen zu können. Dieses gebrochene Volk der deutschen Westprovinzen käme kaum bis über die Rhön. Angesichts der magischen Anziehungskraft des Gothenschicksals müßten wir unserer Unmündigkeit unter der Faust des amerikanischen Imperialismus noch um Gottes und der Menschen willen aus tiefster Seele dankbar sein. Ihr neuester Traum ist ein Europa, das sich deutscher Hegemonie beuge und mit dessen Hilfe man seine Ansprüche auch in Osteuropa geltend machen könne. Sind nicht Herr im eigenen Haus und machen Ansprüche auf die halbe Welt. Die deutsche Jugend aber, da ihre Befreiungsanläufe gegen das ihr von den Elterngenerationen hinterlassene Erbe im Nichts geendet sind, verfällt, sobald sie sich von dem Zusammenbruch elterlicher Autorität biologisch und psychisch erholt haben wird, in einen historischen Winter konservativer Dummheit, bis dem Volk ein neuer Stern aufgegangen ist.