Geistphilosophisches Privatissimum
Hans Imhoff
Hans Imhoff
Asozialistik
Dissertation
Abyssos
Logik des Plans
Republik. Blüte
Poiesis
Krönung
Herabstieg
Echo
Geliebte Goethes

Kap. 1
Kap. 2
Kap. 3
Kap. 4
Kap. 5
Kap. 6
Kap. 7
Kap. 8
Kap. 9
Kap. 10
Kap. 11
Kap. 12
Kap. 13
Kap. 14
Kap. 15
Kap. 16
Kap. 17
Kap. 18
Kap. 19
Kap. 20
Kap. 21
Kap. 22

POIESIS
Verfassungsfragen

 

14

Es wird als angenehm erscheinen, wenn wir nunmehr aus jenen Tagen wieder in unsere Gegenwart zurückkehren. Ab und zu muß ein Caravaggio den Spuk des Manierismus hinwegfegen. Wenn wir nicht glauben würden, durch kräftige, gezügelt-feurige Darstellung und im Hinblick auf ein großes Ziel, welches zu erreichen uns beschieden sein möge, die Betrachtung mit Sinn erfüllen zu können, dann bestünde allerdings wenig Hoffnung, mit gegenwärtigen Gegenständen eine Freude zu erwecken, die die graue Vergangenheit nie zu gewähren vermag. Man sähe sich zum Beispiel betrogen, wenn man erwartete, irgendeines der Themen, deretwegen sich die Christen zwei Jahrtausende lang gegenseitig abschlachteten, sei seiner Lösung nähergekommen. Man wundert sich oft, daß die Menschen so handeln , als hätten sie keine Wahl, das Richtige wie das Falsche zu tun, da man doch weiß, sie haben sie. Es fällt auf, daß die liberale christlich-kapitalistische Sphäre, schon bevor sich ihre Exponenten durch den Wahlsieg konservativer Kräfte gleichzeitig in England, den Vereinigten Staaten und Westdeutschland bestätigt sahen, auf Programme und Ideologien zurückgriffen, mit welchen sie ihren Gegnern in der Vergangenheit schon zu den größten Siegen verholfen hat. Entweder muß ich also vermuten, daß man sich mit aller Macht zugrunde richten will, oder daß man zu willenlos ist, um dem nachteiligen Gang der Dinge, ihrem Zwang, widerstehen zu können. Wir haben uns mit Vilfredo Pareto und Carl Schmitt zu befassen, denjenigen, welche dem Faschismus den logischen Apparat geliefert haben, und von denen die Konservativen sich von neuem aus der Krise geholfen sehen möchten. Der philosophisch Gebildete vermag es nur unter Lächeln zu tun, denn die Verzweiflung ist zu durchsichtig, welche sie treibt, solche Kretins zu Lotsen in einer durchaus komplizierten welthistorischen Lage zu berufen (vermittelst Plagiateuren, versteht sich). Aber das Fiasko, das sie mit dem Zweiten Weltkrieg erlebt haben, darf eben für sie keines sein - bei gleichzeitigem Wissen: es war eines! -, das ist das Bewundernswerte. Nicht einmal ein Unfall sei es, wie man es einige Jahre lang darstellte, sondern das notwendige Ausschlagen des Pendels, bevor es sich nach dem Auflegen von Gewichten auf sein neues Gleichgewicht eingespielt habe. Wir Deutschen können es uns zugute halten, daß diese nominalistischen Ideologien des Positivismus , die den Willen, die Macht, blinde Mechanismen und deren Gleichgewicht in seelenlosen Existenzen zum göttlichen Weltgrund stilisieren, stets in den Randgebieten unserer Kultur (Wien etc.) entstehen, von den Angelsachsen aufgegriffen zu werden pflegen und uns als Importe von der Westminster Abbey oder den Appalachen wieder erreichen; daß dergleichen je dem Weichbild des eigentlichen Abendlandes, der christlichen Geistigkeit der deutschen Reichsgebiete der Schwaben, Franken, Hessen, Thüringer, Sachsen entkeimt wäre, dessen könnte uns der schlimmste Haß nicht zeihen. Und das ist der entscheidende Unterschied. Besitzen die Dinge nämlich ein Wesen, wie es Europa von Anaximander bis Marx behauptete, dann findet das Positive der Naturgesetze, des Willens, der Legalität seine Grenze in der Wahrheit, dem Begriff, der Legitimität. Darauf pfeifen jedoch die neukonservativen Teufel und ihre Kronzeugen, welche, indem sie sich einbilden, die Prätentionen und Angriffe des Materialismus und Egalismus abzuschlagen, die christliche Individualität und die dem Orient abgerungene geistige Freiheit des Abendlandes depravieren, besudeln, in Mißkredit bringen und der Plutokratie aufopfern. Mit einer Niedrigkeit, die um so verabscheuungswürdiger ist, als sie sich mit Dummheit paart, ignorieren sie Kants Verdikt, nach welchem der Mensch nie bloß Mittel, sondern stets auch Zweck zu sein habe, wie Marxens Analysen des sich durch den Menschen hindurch zum Zweck setzenden Kapitalprozesses, und ersetzen auf Dilettantenart die Poiesis, die göttliche Selbsthervorbringung des Menschen, um vor sich und der Welt für ihre Unfähigkeit zur Humanität, zu Begriff und Sittlichkeit eine Rechtfertigung zu erheucheln, durch den faden Mechanismus unaufhebbarer Interessengegensätze, in welchem die leblosen Massen als Akzidenzien einem ebenso müden Gleichgewicht zwischen Begabten und Unbegabten zutendieren. Auf dem Weg zum Wahnsinn, der unter diesen Prämissen schon einmal überzeugend beschritten wurde, liegt der Bruch der bundesrepublikanischen Verfassung, welche unter der Voraussetzung des Vorrangs des Allgemeinwohls, der Verpflichtung des Eigentums, dem Allgemeinwohl zu dienen (Grundrechte, Artikel 14) und unveräußerlicher Menschenrechte - ganz im Gegensatz zu der neukonservativen Lehre von den stetigen Antagonismen zwischen den Klassen und innerhalb der Machteliten - auf einer breiten Basis menschlicher Gemeinsamkeit und auf dem gesitteten Streben nach Ausgleich aller feindlichen Gegensätze errichtet wurde. Damit eben bricht die neu-konservativ -autoritäre, tendentiell faschistische: weil die Liquidierung des Rechts durch die Diktatur des Kapitals qua dessen Legalisierung vorbereitende Politik, welche die rücksichtslose Durchsetzung der Kapitalinteressen gegen die Bevölkerung als logisch und notwendig erklärt - was sie von ihrem Standpunkt aus auch ist. Es sei ganz falsch, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen: Nein, eine Reservearmee gedemütigter Proletarier sei schließlich das zuverlässigste Unterpfand für das optimale Gleichgewicht und damit das Wohlergehen aller. Ganz falsch sei es gewesen, Antikrisensteuerung zu treiben: Nein, der Krise ihren Lauf zu lassen, sei das Wahre, der sicherste und schmerzloseste, weil natürlichste Weg, um die Säfte des Gesellschaftskörpers gesund und kräftig zu erhalten. Nicht das ganze Volk solle die Demokratie tragen: Nein, das Volk sei politisch unbegabt und werde es bleiben, folglich sei jeder Pfennig für die Bildung in Verantwortung und nach dem Gewissen entscheidender Bürger vergeudet; das wirklich mündige Bürgertum habe auch die Mittel, seine Bildung selbst zu finanzieren. Aber das sind bloß Präliminarien. Entscheidend ist die grundsätzliche Veränderung der Rechtsauffassung. Bisher hielt man sich daran, daß das allen Menschen Zukommende dem Recht der Staaten voranzugehen habe. Die wiedererstarkte Ideologie eines verbrecherischen Machtmenschentums erklärt nun aber plötzlich durch den Mund der Neukonservativen Menschenrechte, Naturrecht für ein Legitimationstheater der herrschenden Eliten zum Zwecke des Betrugs der Massen, um sie bei der Stange zu halten. Der Vater dieser Lehre ist das Rechtstalent, welches bereits die Legitimation für Hitlers Lebenswerk geschaffen hatte, ehe es jetzt, offensichtlich in Ermangelung eines besseren, wieder zu Rate gezogen wird: Carl Schmitt. Natürlich kann man auch sagen: Duns Scotus und Wilhelm von Ockham. Schon bei diesen beiden Philosophen ist die Welt und alles in ihr vermöge eines Willensaktes Gottes, der so wenig an irgendetwas, etwa Liebe oder Güte, gebunden ist, daß er selbst den Haß gegen sich befehlen kann. Die daraus abgeleitete Verfassung gesellschaftlichen Lebens kann konsequenterweise genau so wenig etwas anderes zugrunde legen als die Gesetze, welche ein ungebundener Souverän (und sei er die Wählermehrheit) qua Willenserklärung zum geltenden Recht macht, einzig und allein deshalb, weil er die Macht hat, diesen seinen Willen auf diese Weise zu äußern und Gehorsam zu erzwingen. Hinter diesem extremen Standpunkt steht die ernste Uberlegung, daß, wenn das Gegenteil angenommen werde, es also etwas gebe, woran auch Gott seine Grenze fände, dann auch gegen oder ohne Gott richtig, wahr, gut und göttlich geboten und gehandelt werden könne, und dies war den britischen Mönchen unerträglich. In der Folge warnt der Engländer Hobbes eindringlich davor, andere Prinzipien als die des positiven Rechts gelten zu lassen, ansonsten man das Chaos zulasse. Genau so sprechen Schmitt und die Anhänger seiner Staatslehre in den Regierungen heute wieder: Naturrecht sei das Chaos, das geschriebene Recht des Mächtigen, des totalen Staates sei das einzige mögliche, weil reale. Die gesamte mitteleuropäische Welt ging den entgegengesetzten Weg; Thomas von Aquin, Grotius, Leibniz, Kant, Hegel, Marx bezeichnen einen Weg, auf dem in geltendes Recht, mit dem Maßstab einer natürlich-vernünftigen Legitimation gemessen, wachsend Mißtrauen gesetzt wurde. Nicht so der moderne, auf die keltische, voreuropäische Gesellschaft zurückgehende Positivismus, der allem mißtraut, außer was sich durchsetzt. Was sich durchsetzt, ist nach dieser Logik Gesetz; der Beweis dafür besteht darin, daß es zum Gesetz erklärt worden ist. Und was Gesetz ist, ist nach dieser Logik rechtens, legitim und gültig; Beweis: ein anderes, das erzwungen werden könnte, gibt es nicht. Über das alles wurde übrigens schon einmal im Altertum zwischen den Athenern und den Meliern gestritten, und Thukydides hat es aufgeschrieben. Die Entwicklung, welche die Verfassung in den letzten Monaten in den wichtigsten Ländern des Kapitalismus genommen hat, ist bemerkenswerterweise zweimal prognostiziert worden; von den Kommunisten bei Verabschiedung der provisorischen Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, als sie sagten, sie stimmten jetzt dagegen, aber es werde der Tag kommen, da sie als einzige sie verteidigen würden; und zur Zeit der Studentenrevolte, als man auf Demonstrationen und Versammlungen in Chören rief: Kapitalismus führt zum Faschismus, Kapitalismus muß weg! Es ist dies deshalb erwähnenswert, weil bei diesen Gelegenheiten vor der denkbar größten Offentlichkeit ausgeplaudert worden ist, daß die ökonomische Ausweglosigkeit der Plutokraten die Verfassungen bricht; folglich die marxistische Theorie bei allen Mängeln gegenwärtig die einzige von Rang ist und ihr der Erfolg nicht vorenthalten bleiben wird. Es gab Zeiten, da das bekannter war als heute.