Geistphilosophisches Privatissimum
Hans Imhoff
Hans Imhoff
Asozialistik
Dissertation
Abyssos
Logik des Plans
Republik. Blüte
Poiesis
Krönung
Herabstieg
Echo
Geliebte Goethes

Kap. 1
Kap. 2
Kap. 3
Kap. 4
Kap. 5
Kap. 6
Kap. 7
Kap. 8
Kap. 9
Kap. 10
Kap. 11
Kap. 12
Kap. 13
Kap. 14
Kap. 15
Kap. 16
Kap. 17
Kap. 18
Kap. 19
Kap. 20
Kap. 21
Kap. 22

POIESIS
Verfassungsfragen

 

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Einem Schützen dünkte eines Tages sein schmuckloser, immertreffender Bogen noch nicht vollkommen, und er verschönte ihn durch Schnitzen, Gravieren und Malen. Man weiß, daß er danach brach . Eine indianische Weisheit bezeichnet Furcht, Macht, Klarheit und Alter als die Feinde des Wissenden. Ich halte die Verfassungen, die man uns nach dem Kriege angeblich oktroyiert hat, für die besten, welche wir uns selbst hätten geben können, bin allerdings der Meinung, daß es nicht die letzten sein werden. Kunst und Staatsverfassung sind für den höchsten Geist nichts Verschiedenes. Ich glaube, daß die Kunst die Schlachten gewinnt; nicht die Kriegskunst, sondern die bildende, die Dichtung, Musik. Die Welt im engeren Sinne reicht von Neapel bis Aachen. Das Reich der Staub, darinnen die Körnchen der Wahrheit. Der Reichsfreiherr vom und zum Stein, von Hardenberg als »viel zu tranchant für den König« charakterisiert, bezeichnete, wenn er über die künftige Verfassung der Nation nachdachte und ganz in den Erfordernissen des Gemeinwohls aufgegangen war, seine Standesgenossen, insbesondere aber die kleinen Souveräne, als Lumpengesindel. Gneisenau wollte den gesamten Adel enteignen und ihn sich Titel und Besitz nach dem Maße seiner im Befreiungskampf gebrachten Opfer neu verdienen lassen; wie überhaupt dieses Mannes Vorschläge, den totalen Krieg betreffend, Prophetien enthalten, die sich erst im Nationalsozialismus und im Befreiungskampf des vietnamesischen Volkes zu erfüllen begannen. Wir werden nicht überleben, wenn wir uns nicht zu dem Wissen emporringen, daß nicht nur unsere eigene Geschichte, wir selbst, sondern der ganze Mundus Produkt unseres Selbstbewußtseins ist. »Es ist zu wünschen, daß Rußland und England nicht glauben, es sei ihr Vorteil, Deutschland beständig in einem Zustand von Aufregung und Leiden zu belassen«, verkündete Stein in seiner Denkschrift an den Zaren Alexander vom 18. August 1815 über die Sicherheit Deutschlands. Denn, wie es Karl Nicolaus von Rehdiger im Sinne Steins in der Kalischer Proklamation, veröffentlicht am 25. März 1813 durch den Fürsten Kutusow, Oberbefehlshaber des preußisch-russischen Heeres, aufgesetzt hatte: »Je schärfer in seinen Grundzügen und Umrissen dies Werk (einer deutschen Nationalverfassung) heraustreten wird aus dem ureigenen Geiste des deutschen Volkes, desto verjüngter, lebenskräftiger und in Einheit gehaltener wird Deutschland unter den Völkern Europas erscheinen können.« Uns mutet es heute eigentümlich an, wenn wir hören, Stein habe sich bei Hans von Gagern darüber beklagt: »Sie wollen, daß wir verwundbar bleiben!« Ein unverwundbares europäisches Universalreich mit deutschen Herrschern war allerdings auch Dantes Ideal. Es ist erschreckend, ja vernichtend, wie wenig man glaubt, nach den jüngsten geschichtlichen Erfahrungen auf den ureigenen Geist des Volkes vertrauen zu können. Aber vielleicht verstand man unter Volk damals etwas anderes als heute? Immerhin stand damals die Revolution des Volkes bevor, heute ist sie vorüber. Von einem hohen Funktionär der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands hörte ich einmal den Ausdruck »die Würdigsten und Besten«. Für die Konkurrenzwirtschaft ist es nicht das Schlimmste, daß sie ihre Grenzen erreicht hat, sondern daß der Mensch sich sehr tief erniedrigen muß, wenn er sie akzeptieren will. Man hat bei mir immer wieder das Verwirrende meiner Darstellung, das Fehlen eines Standpunktes kritisiert und Eindeutigkeit vermißt. Laßt die Menschen Kenntnisse erwerben, und die Parteilichkeit wird sich erübrigen. Glücklicherweise gibt es für unsere Aufgabe, das Erbe des Reiches zu übernehmen, keinen Vergleichsfall. So ist unserem Genius nicht nur freie Bahn gewährt, sondern auch der Selbstgenuß der planenden Substanz.