Geistphilosophisches Privatissimum
Hans Imhoff
Hans Imhoff
Asozialistik
Dissertation
Abyssos
Logik des Plans
Republik. Blüte
Poiesis
Krönung
Herabstieg
Echo
Geliebte Goethes

Kap. 1
Kap. 2
Kap. 3
Kap. 4
Kap. 5
Kap. 6
Kap. 7
Kap. 8
Kap. 9
Kap. 10
Kap. 11
Kap. 12
Kap. 13
Kap. 14
Kap. 15
Kap. 16
Kap. 17
Kap. 18
Kap. 19
Kap. 20
Kap. 21
Kap. 22

POIESIS
Verfassungsfragen

 

16

Die Stadtrepubliken der Lombardei, an ihrer Spitze Mailand, waren - vor Frankreich und vor dem Papst - die erste Macht, die dem deutschen Königtum mit Erfolg Widerstand entgegensetzte. Sie glaubten, wie später die Französische Revolution, an die römische Republik anzuschließen. Diejenigen Völker, welche gerade die Herrschaft über die übrigen ausüben, sind jeweils des Glaubens, ihre Macht ziehe den Geist an und bringe ihn hervor, man müsse ihn nur fördern. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, daß der Geist die Macht hervorbringt; daß, jedenfalls längerfristig, die irdischen Reiche vergehen, die Republik der Geister zwar nicht ewig dauert, jene aber mindestens überlebt. Die Maßstäbe, in welchen unendliche Genialität und Mühen aufgehoben sind, stellen die Conditio sine qua non des Völkerlebens dar; die Kunstwerke sind die verewigten Erfahrungen, mit deren Hilfe die Menschen sich einrichten. Eine Gesellschafts- oder Staatsverfassung, oder die eines Volkes, einer Klasse, einer Rasse oder sonstigen Verbandes, hat nur nach Maßgabe der größten geistigen Leistung Existenzrecht und -chancen. Daß die gegenwärtigen Reiche, insbesondere die weltbeherrschenden, einer Prüfung nicht standhalten, das bezeugen allein die italienische Malerei und die deutsche Philosophie. Platons Verdikt von den Philosophenkönigen wäre erfüllt, wenn aus Dantes GöttIicher Komödie und Albrecht Dürers Selbstbildnis Grundsätze einer Verfassung gewonnen würden, welche sich wenigstens auf der Höhe des Geistes von vor einem halben Jahrtausend befände. In zweihundert Jahren sind vielleicht Bach und Hegel in einer Verfassung eingeholt. Den Krieg gegen Deutschland und Italien, ja die gesamte europäische Kultur haben die Alliierten nie beendet. Ohne diese Erkenntnis wird man nichts verstehen. Nicht nur war Bestrafung notwendig, ist Raub immer etwas Verlockendes; sondern es galt auch die Gelegenheit zu nutzen, die höchststehenden Nationen ihrer Vorteile zu berauben. Es ist dem Imperialismus unerträglich, die ersten Plätze jahrtausendelang denselben Geistern überlassen zu müssen, ohne zu versuchen, eine Ungleichheit zu beseitigen, die einen grundsätzlich hindert, historisch tonangebend zu werden. Der aufmerksamere Beobachter kann sich nicht darüber täuschen, daß Berge Goldes oder Hunderte von Textilfabriken die Menschen nicht im geringsten in Bewegung setzen, sondern immer nur die Bedingungen der geistigen Schritte an der evolutionären Front, die weder aufzuhalten noch zu erzwingen sind, noch auch nur voraussehbar. Es muß ein Segen walten. Umgekehrt allerdings setzen sich schon Gold und Textilien in Bewegung, um den Geist für sich in Ketten zu legen. Das Gewalthordentum hat die Tendenz, alle Kultur, die es seiner Machtpolitik nicht unterwerfen und dienstbar machen kann, zu vernichten, weil es sie mit Recht fürchtet. Um auf der Stelle zu treten und sich bloß zu behaupten, bedarf es nur der natürlichen Tüchtigkeit; will aber eine Population welthistorischen Rang gewinnen, so muß sie sich dem Geist unterwerfen, indem nur dieser die Kriterien für eine Verfassung gewährt, welche gerade darin besteht, das Verhältnis von Brauch und Gesetz zu polarisieren und in einer neuen Wirklichkeit aufzuheben. Das Hunnenreich, das imstande war, die Welt vom chinesischen Meer bis zum atlantischen Ozean zu erschüttern, wurde von einer Handvoll germanischer Gepiden vernichtet. So ist die Hilflosigkeit der heutigen russisch-sibirischen und der appalachisch-kalifornischen Reiche rührend anzuschauen. Das Geschrei bei der schmählichen Niederlage der Amerikaner im Krieg gegen die Vietnamesen kam nicht von ungefähr; was die Europäer und andere Kultivierte an der »unglücklichen asiatischen Expedition der Amerikaner«, wie es der Organisator der Frankfurter Schule, Max Horkheimer, nannte, so amüsierte, war das Aufeinanderprallen von Waffen, die gar nichts entscheiden konnten; daß sich die Amerikaner für die Sicherung des Heroinweges gebrauchen ließen wie ein Hilfsvolk von Byzanz. Der Weltzustand, wie er in Kunst, Philosophie und Wissenschaft erkannt wird, bildet selbst die Verfassung aus. Man unterschätzt die alten Völker maßlos, wenn man ihr Bedürfnis, Sternenhimmel, Götter und menschliche Verhältnisse in einen vernünftigen Zusammenhang zu bringen, für abstrus erklärt. Der Materialismus, der hier obwaltet, ist wirklich einer der Materie, welche durch das Genie hindurch sich als gesellschaftliche Welt neue, erweiterte Geltung verschafft. Die höchste Form, in welcher sich die Materie dem Menschen darstellt, ist die Logik; das Volk mit der entwickeltesten Logik ist darum auch jeweils das mit der wahrsten Verfassung, als der Essenz seiner Geschichte. Es war dies nach den Griechen das deutsche.