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Der Mensch nicht das herrschende noch das produzierende, sondern das erziehbare Wesen. Bei Schiller nicht die Diktatur der Vernunft, sondern das Erhabene Garant der Freiheit. In der ästhetischen
Erziehung des Menschen laufen die Utopien Campanellas mit der Idee des deutschen Idealismus zusammen. Wir gelangen nun zu dem außerordentlich wichtigen Problem der Beurteilung der Ausläufer des
Feudalismus in den beiden antagonistischen Hemisphären des heutigen kapitalistischen und sozialistischen Lagers. Woran die Menschheit hängt, jahrhundertelang durch europäischen Handel
gewöhnt, jenes System unübersehbarer in den Weltmarkt und seine Geldordnung eingewobener Freiheiten, vom Westen abgöttisch fetischisiert, wird von den Kommunisten unter Berufung auf Marx und
die gesamte revolutionäre Tradition als bürgerliche Ideologie mit dem Hinweis abgewiesen, das Fortschrittliche an der bürgerlichen Demokratie, das liberale, antifeudalistische Moment, sei im
demokratischen Zentralismus der marxistischen Partei und der Verfassungswirklichkeit der von ihrer proletarischen Diktatur verwalteten Staaten aufgehoben. Das ist grundsätzlich richtig, nur
kennt die Aufhebung auch Modalitäten. Lenins Lehre von der gleichermaßen ideologischen wie organisatorischen Einheit der Partei, deren Prinzip des demokratischen Zentralismus es verlangt, »die
straffe zentrale Führung der Partei organisch mit der innerparteilichen Demokratie zu verknüpfen«, hat es überhaupt erst zuwege gebracht, daß nicht nur die vordem wesentlich fast ignorierte Welt der Arbeit,
die humanistische Notwendigkeit der Befreiung der Arbeit sich endlich Respekt und Geltung verschaffte, sondern auch seit nunmehr 67 Jahren durch ein bisher unangreifbares, einen großen Teil der Erde
einnehmendes Imperium repräsentiert wird. Die Menschheit, die entfalteten Anlagen der menschlichen Art, ist dadurch entschieden reicher geworden, und im Interesse der gesamten Geschichte des
menschlichen Aufmarsches sind die Kommunisten gut beraten, sich in dem Festhalten an dem einzigartigen Garanten ihrer Macht, der Partei neuen Typus, durch nichts erschüttern zu lassen. Gleichwohl schützt
die Marxisten die richtige Einsicht, daß nur durch die bewußte, von der Partei der Arbeiterklasse gelenkte Tätigkeit der Menschen eine Gestaltung ihrer Geschichte »mit Gesamtwillen nach Gesamtplan«
möglich ist, nicht davor, Fehler zu machen, etwa ein falsches Wissen vom Plan, von der Geschichte oder dem Willen zu besitzen. Denn die Hauptaufgabe des Marxismus, die Einsicht in die Gesetzmäßigkeiten
der ökonomischen, sozialen, ideologischen und geistig-kulturellen Prozesse zu vertiefen, kann von ihm selbst allein gar nicht in genügend großem Maße gelöst werden; wohl aber kann er die
gesellschaftlich-politischen und organisatorischen Bedingungen für jene materiellen und geistigen Sprünge schaffen, welche der gesamte Menschheitsgeist vollbringen muß, um die neuen Einsichten zu
gewinnen und die besseren Lösungen zu schaffen. Es findet sich das schon bei ganz frühen Marxschen Spekulationen ausgedrückt, wenn er sagt, der Kommunismus als Negation der Negation sei nur vorletzte
Stufe, die Position erst sei der ganze Inhalt und erfüllte Zweck. »Der Kommunismus ist die notwendige Gestalt und das energische Prinzip der nächsten Zukunft, aber der Kommunismus ist nicht als solcher das
Ziel der menschlichen Entwicklung - die Gestalt der menschlichen Gesellschaft.« (1844) Diese Differenz ist wie kaum eine andere zur Erläuterung unserer schon mehrfach geäußerten Behauptung
geeignet, die allgemeinsten gesellschaftlichen Entscheidungen fallen im Streit um Nuancen im Begriff. Um des Moments des Positiven als des absoluten Resultats willen distanzierte sich Marx einst von den
Linkshegelianern, es trennte 1967 Imhoffs Hegelrezeption von Adornos, seines Lehrers, kritischer Theorie. Nicht auszudenken, welche Konsequenzen es gehabt hätte, wäre Imhoff ein »kritischer
Philosoph« geworden! Die Marxisten, so großen Wert sie grundsätzlich auf diese ideologischen Feinheiten legen, halten sie doch nur wenn nicht für Rechtfertigungen von Klassenpositionen, so
doch bestenfalls für wesentliche Mittel, den ganz andersartigen, nämlich materiellen Prozeß fortschreitender gesellschaftlicher Produktion vorantreiben zu helfen, der mit eiserner Gesetzmäßigkeit
sich jedenfalls durchsetze und die Katalysatoren, die er zu seinem Fortgang und Ziel benötigt, auch alle selbst hervorbringe. Die Trennung des Geistigen vom Materiellen ist höchst unglücklich, auch
wenn es hin und wieder nötig ist, um, wie Marx, hinter die Erklärungen, welche Rechtfertigungen sind, hinter Gesetze, die politische Ökonomie sind, um hinter eine Ideenwelt, die nur der
Spiegel der materiellen ist, zu blicken. Der Marxismus selbst nimmt für sich in Anspruch, die beiden Extreme in seiner Theorie als dialektische Einheit gefaßt zu haben und dem Fehler der Rechtfertigung entronnen
zu sein. Dieser Anspruch ehrt den Jüngling; es ist der Anspruch der Wirklichkeit an sich selbst, den sie immer auch zugleich erfüllt hat. Ob die marxistisch-leninistische Verfassung dem Geiste gibt, was des
Geistes ist, sei dahingestellt; daß sie imstande ist, insbesondere a la longue, die Versorgung der Menschen mit den für ihre Reproduktion notwendigen Mitteln besser zu sichern als der kapitalistische
Weltmarkt, muß jedem Verständigen unzweifelhaft sein. Ihre Position und Funktion im Rahmen unserer Schrift ist damit jedoch noch nicht bestimmt. Indem wir nie aus dem Auge verlieren, daß wir im Herzen
der Welt liegen, diese Welt aber durch unsere eigene Verfassungsentwicklung aus dem Hochmittelalter heraus in zwei unversöhnliche Blöcke gespalten ist, haben wir jedes der
verschiedenen realen Momente von den ordnungsprinzipiellen Verfassungsgegebenheiten des ehemaligen römischen Reiches aus zu beurteilen. Es ist unsere Pflicht, die Bemühungen um den Erdball als
das blinde Spiel irrender Geschlechter anzusehen, als die einzelnen Teile der Wirklichkeit gewordenen Gedanken der Republik der Geister. Unsere eigene Politik, die Verfassung der alten Reichsgebiete, und
zwar je mehr sie von dem Hauch der Geistesheroen durchdrungen sein werden, wird den Geist der Welt, soweit das überhaupt möglich ist, in seinen einzelnen Abteilungen und deren Beziehungen
zueinander in Zucht halten, solange wir unsere Zuversicht nicht verlieren und auf den Begriff achten. Für uns aber wurde es beinahe zu unerträglichem Nachteil, daß Marx, der doch dem deutschen
Idealismus ebenso wie der Renaissance, etwa Pico della Mirandola, verpflichtet ist, sich hat derart von seinem Kampf gegen die deutsche Romantik und ihrer Verherrlichung der deutschen Zersplitterung, von
der bürgerlichen Industrie und insgeheim von der englischen Philosophie hat gefangen nehmen lassen, daß er uns bis heute als so inakzeptabel erscheinen muß, wie er es doch offensichtlich tut.
Hingegen ist uneingeschränkt die Behauptung aufzustellen, es sei nur eiries übrig, nämlich Schillers eherne Notwendigkeit mit Hölderlins »Täglich aber kann es sich ändern« zu identifizieren. Schillers Horen
-Strategie ist zu befolgen: »Jemehr das beschränkte Interesse der Gegenwart die Gemüther in Spannung setzt, einengt und unterjocht, desto dringender wird das Bedürfniß, durch ein allgemeines und
höheres Interesse an dem, was rein menschlich und über allen Einfluß der Zeiten erhaben ist, sie wieder in Freyheit zu setzen, und die politisch getheilte Welt unter der Fahne der Wahrheit und Schönheit
wieder zu vereinigen... Aber indem sie (die Zeitschrift »Die Horen«) sich alle Beziehungen auf den jetzigen Weltlauf und auf die nächsten Erwartungen der Menschheit verbietet, wird sie über die vergangene
Welt die Geschichte, und über die kommende die Philosophie befragen, wird sie zu dem Ideale veredelter Menschheit, welches durch die Vernunft aufgegeben, in der Erfahrung aber so leicht aus
den Augen gerückt wird, einzelne Züge sammeln, und an dem stillen Bau besserer Begriffe, reinerer Grundsätze und edlerer Sitten, von dem zuletzt alle wahre Verbesserung des gesellschaftlichen
Zustandes abhängt, nach Vermögen geschäftig seyn.«
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